GENDERN 2.0 (Basisneutrales Gendern) ausführlich erklärt

Die Ausgangslage

Seit mehreren Jahrzehnten ist es üblich, bei Personen die so genannte „weibliche Movierung“ mit der Endung -in/nen generell zu benutzen, wenn Frauen gemeint sind.

(Damit erfuhr diese Endung einen Bedeutungswandel. Früher wurde sie nur für Frauen verwendet, die zu einem Mann gehörten, der eine bestimmte Tätigkeit ausübte oder einen gewissen Status innehatte: die Müllerin war die Frau des Müllers, die Pastorin die Frau des Pastors, die Bürgermeisterin die Frau des Bürgermeisters.)

Ursprünglich bezeichnete die Grundform, die heutzutage „generisches Maskulinum“ genannt wird, als „Genus commune“ alle Menschen. Der Begriff „generisches Maskulinum“ ist schon seit langem üblich; mit dieser Form konnten sowohl alle Geschlechter als auch speziell Männer gemeint sein – aber nicht speziell Frauen (oder gar nonbinäre Personen).

Seit einigen Jahren können mit dieser Form laut Online-Duden allerdings grundsätzlich nur noch Männer bezeichnet werden, weswegen binäres Gendern bzw. – um das dritte Geschlecht nicht auszuschließen – die derzeitigen Genderformen unumgänglich scheinen, wenn mensch geschlechtergerecht sprechen und schreiben will.

Zur Verdeutlichung:

Bis vor wenigen Jahren konnten also mit Begriffen wie Bäcker, Richter, Lehrer, Kantor, Pianist etc. sowohl alle Geschlechter als auch speziell Männer benannt werden. Diese Tatsache sowie der Name „generisches Maskulinum“ – statt z. B. generisches Neutrum, Utrum oder eben Genus commune – dürfte zumindest unter anderem aufgrund des Sachverhaltes entstanden sein, dass etwa 95 Prozent dieser Begriffe den Artikel „der“ tragen. Etwa 85 Prozent dieser Wörter davon wiederum gehören zu den Nomina agentis; dazu hier mehr. Dieser Artikel „der“ wird offenbar von sehr vielen, wenn nicht den meisten Menschen als „männlich“ verstanden, also als Sexusmarker (Sexus = biologisches Geschlecht) und nicht etwa nur als Genusmarker (Genus = grammatisches Geschlecht). Was nachvollziehbar ist, denn im Zusammenhang mit tatsächlich rein männlichen Nomen wie Onkel, Großvater, Vater, Bruder, Sohn, Neffe etc. findet sich ausschließlich dieser Artikel „der“ – ebenso wie im Zusammenhang mit rein weiblichen Begriffen wie Mutter, Oma, Schwester, Nichte, Tante etc. ausschließlich der Artikel „die“ verwendet wird, welcher deswegen auch als femininer Artikel für die weibliche Movierung ausschließlich benutzt wird.

Es besteht also folgende Imbalance:

a) Mit der kurzen Grundform können wahlweise Männer oder (zumindest bis vor kurzem) alle Geschlechter gemeint sein, mit der weiblichen Movierung nur Frauen.

b) Seit mit der kurzen Grundform nur noch Männer gemeint sein sollen, ist die weibliche Form lediglich eine Ableitung dieser männlichen Grundform.

Die Grundproblematik

Schon vor Jahrzehnten, als das binäre Gendern publik und mehr oder weniger alltäglich wurde – also Bürgerinnen und Bürger, Lehrerinnen und Lehrer etc. – verschlimmerte sich die Schieflage, anstatt sich zu verbessern. Die Frauen wurden nun zwar benannt und „sprachlich sichtbar gemacht“, dadurch aber bei genauer Betrachtung eigentlich diskriminiert: Die Männer haben die Kurzform inne, „Mann = Mensch“ (was von der Worthistorie Mann/Männisch/Mensch übrigens untermauert wird!); Frauen – sind eben Frauen …?! Grammatikalisch immer von der „männlich-menschlichen“ Grundform abgeleitet; mit der Endung „-in/nen“.

Eva aus Adams Rippe sozusagen in sprachliche From gegossen…!

(Was biologisch übrigens unhaltbar ist: Zu Beginn der Embryonalentwicklung haben alle Embryonen die gleichen Geschlechtsanlagen. Erst einige Wochen nach der Empfängnis sorgt ein bestimmtes Enzym dafür, dass ein Embryo zum Jungen wird. Bleibt diese Hormonbildung aus, springt das feminine Ursprungsprogramm der Natur an, und es entwickelt sich ein weiblicher Embryo. Und beispielsweise in der Dominikanischen Republik gibt es die „Guevedoce“ – als Mädchen geborene Kinder, die durch eine genetische Besonderheit erst mit etwa 12 Jahren zu Jungen werden… .)

Nonbinäre Menschen – mit dem Geschlechtseintrag „Divers“ seit Ende 2018 gesetzlic anerkannt gesetzlich anerkannt – werden dabei gar nicht mitgenannt, weswegen es zu den immer mehr um sich greifenden Genderformen mit Sonderzeichen und Sprechpause kam. Leider wird dadurch aber nichts besser, im Gegenteil:

Männer haben die kurze Grundform, Frauen werden davon abgeleitet – und Nonbinäre („Enbys“) finden sich gerade mal in einem Doppelpunkt oder einer Lücke wieder.

Aber das größte Problem dabei ist, dass wir nun anscheinend keine Begriffe mehr haben, mit denen alle Menschen, egal welchen Geschlechts sie sind, benannt werden können!

Warum ist das ungünstig – wozu brauchen wir solche Grundbegriffe überhaupt?

Gerade habe ich zur Entspannung ein bisschen TV geschaut. Es lief ein Film, in dem ein Ehepaar gegeneinander für das Bürgermeisteramt kandidiert. An einer Stelle sagt sie zu ihm: „Ich bin Kanditatin, genau wie du!“

Da haben die Regisseure offenbar keine andere Lösung gefunden; herausgekommen ist grammatikalischer und sachlicher Unsinn. Denn der Mann ist ganz sicher keine Kandidatin! Aber da die Grundform ja nun angeblich rein männlich ist, kann sie natürlich auch nicht sagen: „Ich bin Kandidat, so wie du!“. Möglich wäre ein Satz wie „Ich bin Kandidatin, so wie du Kanditat bist.“ Umständlicher geht es kaum.

Nochmal zusammengefasst: Die Männer haben die kurzen, geschmeidigen Oberbegriffe; Frauen werden daraus abgeleitet, und Enbys haben gar keine eigene Form (wobei es aus den entsprechenden Kreisen durchaus Vorschläge dafür gibt).

Was ist daran geschlechtergerecht?

Nichts.

Mensch darf sich schon darüber wundern, wie es möglich ist, dass ein solch unglücklicher Ansatz inzwischen an vielen Stellen – Universitäten und diversen öffentlichen Einrichtungen – bereits verpflichtend ist.

Die Lösung

Um die geschilderte Imbalance endlich ins Gleichgewicht zu bringen, gibt es eine ausgezeichnete Lösung, die nur einen sehr geringfügigen Eingriff in die Sprache bedeutet – ganz im Gegensatz zu den Genderformen und deren Blüten: Wörter wie Bürger:innenmeister:innenkandidat:innen sind hier offenbar erst der Anfang.

Die Lösung heißt Gendern mit gleichgestellten Movierungen – in meiner Variante auch Basisneutrales Gendern genannt. Als Oberbegriff für die allesamt ähnlichen Ansätze wurde von der Linguistin Luise F. Pusch „Gendern2.0“ vorgeschlagen – und gerne angenommen.

Die Grundidee ist einfach und schnell erklärt:

  • Mit der kurzen Grundform – oder neutralen Basisform – werden alle Geschlechter adressiert – bzw. gar kein Geschlecht, sondern einfach alle Menschen. Der strittige, allzu ungerecht scheinende Begriff „generisches Maskulinum“ kann damit ad acta gelegt werden.
  • Damit das möglich ist, muss es neben der bereits existierenden femininen Form eine maskuline und eine neutrale geben, welche allerdings nur dann verwendet werden, wenn es thematisch wirklich sinnvoll ist, diese Geschlechter zu benennen. Mit dem Wissen um diese Formen ist es dann möglich, die Basisform für alle Menschen zu benutzen, weil damit tatsächlich alle gemeint sind – und nicht nur „mitgemeint“, wenn überhaupt.
  • Zur Frage, welche Suffixe diese neuen Formen haben sollten, gibt es diverse Vorschläge mitsamt ihren Pros und Kontras. Meine Ideen dazu finden sich hier.
  • Eine weitere diskussionsbedürftige Frage ist jene nach den Artikeln für die neutrale Grund- oder Basisform sowie der nonbinären Form. Ob berechtigt oder nicht, wissenschaftlich nachgewiesen oder nicht: Der Artikel „der“ für die Grundform – wie er sich aufgrund der Nomina agentis im bisherigen „generischen Maskulinum“ vorrangig etabliert hat – dürfte heutzutage gerade in diesem Zusammenhang von vielen, wenn nicht den meisten Menschen als „männlich“ interpretiert werden. Näheres dazu hier.
  • Mein Vorschlag zum Artikel für die Enby-Form wird ebenfalls hier dargestellt.

Ein paar Gedanken …

… zu einem Einwand, der zu Vorschlägen wie unseren häufig vorgebracht wird: Das Deutsche ist (ebenso wie die anderen Sprachen außer Esperanto und Volapük) keine Plansprache. Sprache entwickelt sich!

Das ist richtig, aber es bedeutet nicht, dass es unmöglich ist, gute Ideen zu integrieren und umzusetzen. Es ist ja sogar mit schlechten Ideen möglich, wie wir bemerken müssen…! Die derzeitigen Genderformen sind – glücklicherweise – bisher nicht im grammatischen Regelwerk verankert. Aber sie werden, wie bereits erwähnt, an vielen, v. a. öffentlichen Stellen wie Universitäten, Instituten, diversen Medienkanälen etc. fleißig und beflissen angewendet; teilweise sogar verordnet (oder wiederum verboten).

Also wagen wir es, unsere wirklich gute – weil wirklich geschlechterfaire und wirklich einfach umsetzbare – Idee der gleichgestellten Movierung zur allgemeinen Umsetzung vorzuschlagen.

Eine Anregung

Wen unser Ausweg aus der Gender-Sackgasse interessiert, möchte ich gerne dazu ermutigen, diesen Ansatz konkret auszuprobieren!

Dabei wird nämlich schnell deutlich, wie angenehm es sich wieder sprechen lässt:

– Keine Überlegungen, ob denn jetzt auch „richtig“ gegendert wird (Oh ja, da gibt es diverse Fehlerquellen! Die Ansprache „Liebe Insass*innen“ wäre z. B. falsch, weil der Wortteil vor „*innen“ nicht vollständig ist; es gibt ja kein „Insass“.).

– Keine Ratlosigkeit, ob „Fußgängerüberweg“ noch okay ist oder ob da jetzt „Überweg für zu Fuß gehende“ stehen müsste.

– Keine Kreieren von Wortmonstern wie die schon erwähnten „Bürger*innenmeister*innenkandidat*innen.

Sondern wieder die einfache Sprache, wie wir sie (noch) kennen.

Und das ohne schlechtes Gewissen, weil wir nicht geschlechterfair wären! Denn bei unserem Ansatz ist die Geschlechtergerechtigkeit, wie dargestellt, optimal.

Mit welcher männlichen und nonbinären Movierungsendung (Vorschläge siehe hier) mensch am besten klarkommt, lässt sich natürlich am besten durch Ausprobieren herausfinden!

Dabei wird aber auch sehr schnell klar, wie selten die Movierungen gebraucht werden, weil mit der Grundform ja per definitionem wahrhaftig alle Geschlechter adressiert werden – zwanghafte Sexusbenennung fällt weg.